„Ich war nicht schaumgeboren, sondern staubgeboren“
„Ich war nicht schaumgeboren, sondern staubgeboren; rußgeboren, geboren aus dem Kochsalz in der Luft, das sich auf die Autodächer legte. Geboren aus dem sauren Gestank der Müllverbrennungsanlage, aus den Flusswiesen und den Bäumen zwischen den Strommasten, aus dem dunklen Wasser, das an die Wackersteine schlug, einem Film aus Stickstoff und Nitrat, nicht Gischt.“
Dies, so verriet uns die Autorin Deniz Ohde, sei ihr Lieblingszitat aus ihrem Werk „Streulicht“ von 2020. Im Rahmen des Lesefests „Frankfurt liest ein Buch“ durfte die Ziehenschule dieses Jahr Gastgeberin einer Lesung mit Gespräch sein. Mit sechs E-Phasenkursen und zahlreichen Gäste/Kolleg*innen kam Frau Ohde nach ihrer Lesung aus diesem Roman ins Gespräch, nicht nur über das ursprüngliche Thema „Gibt es die Kluft zwischen Bildunsgversprechen und erfahrener Ungleichheit auch an unserer Schule?“.
Die Protagonistin ihres Werks, das mutmaßlich im Frankfurter Stadtteil Sindlingen spielt, teilt tatsächlich als sogenannte „Staubgeborene“ wenig mit der Liebesgöttin Venus: Wir erkundeten im Unterricht bereits mit ihr die feinen Unterschiede in der Gesellschaft, in der soziale Ungleichheit zur verinnerlichten Abwertung führen kann – ein Thema, das Jugendlichen unserer Schule nicht fremd ist. Im Interview mit den Schüler*innen Samira Joos und Jonathan Trinks beantwortete Frau Ohde sehr persönlich, welche Eindrücke und Stimmungen sie in ihrem Werk transportieren wollte. So erfuhren wir, welche Parallelen zu ihrer eigenen Jugend es geben könnte, aber vor allem, dass die namenlose Protagonistin Sinnbild für einen schulischen Weg ist, den jeder, allein ob seiner Herkunft, gehen könnte. Besonders gerührt zeigte sie sich darüber, dass diese Stimmung im einem Wettbewerbsbeitrag zum Kurzfilmprojekt „Mein Viertel, meine Nachbarschaft, mein Umfeld“ der Schüler*innen Martina Pejic Gasparevic, Ann Nguyen Ngoc und Julius Oberwinder sehr gut eingefangen und persönlich interpretiert wurde. (Wir wünschen an dieser Stelle viel Erfolg für die Preisverleihung am 06. Mai!). Sehr ausführlich und intensiv beantwortete Frau Ohde im großen Plenum Fragen zur Motivation beim Schreiben, betonte ihren Wunsch nach mehr schreibenden Frauen im Lektürekanon und appellierte immer wieder an unsere Jugendlichen, sich nicht aufhalten zu lassen, sondern „es einfach zu tun“, sei es in Bezug aufs Schreiben oder auf ein anderes Ziel im Leben. Besonders in Erinnerung bleibt Frau Ohde vielen Anwesenden sicher durch ihre sympathische, offene Art – letztlich also eine tolle Gelegenheit, mit einer Autorin direkt ins Gespräch zu kommen.
Wir bedanken uns herzlich bei Deniz Ohde für eine schöne Veranstaltung und hoffen auf viele weitere Gelegenheiten im Rahmen der Initiative „Frankfurt liest ein Buch“.
Impressionen
Text und Foto: Dr. Christine Michel (06.05.2023)
Veröffentlicht in: Unterricht